Der Maler und Graphiker Jannis Karydakis
by Marilena Cassimatis, Chief Curator at National Gallery, Athens
”Jedes Kunstwerk klingt innerlich
so, wie die ruhig und erhaben
gesagten Worte: Ich bin da.”
Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst, 1912
Ein Besuch im Atelier von Jannis Karydakis ist eine Begegnung mit Werken des Malers – Formen und Farben auf aufgespanntem Papier – und mit Werken des Graphikers – Zeichnungen und Entwürfen. Inwieweit diese beiden Schwestern der bildenden Kunst, die sich im gleichen Schädel ein Gefecht liefern, sich miteinander verflechten, inwieweit sie sich gegenseitig ausschließen, dahinter soll der sorgfältig beobachtende Besucher kommen, der vor Karydakis‘ Arbeiten der letzten beiden Jahre steht.
Der Besucher wird, vor allem, wenn er kein «Experte» ist, mit Vergnügen die Ehrlichkeit des Malers in der Wahl und im Aufbau der Urwesen entdecken, die unvollendete kosmischen Körpern, halbtoten Amöben gleichen, Formen, aus irgend einem Grund vertraut, welche auf altertümlichem, dunkelgetöntem Hintergrund hervortreten. Auch wird der Besucher sich daran erfreuen, wie die Farbe ganz und gar die Formen bestimmt, ohne daß jedoch deren harmonisches Zusammengehen mit der transparenten Tiefe erschüttert wird. Ein Idealfall, wo sowohl beim «Experten» als auch beim «unbefangenen» Betrachter Wünschen unterschiedlichen Typs entsprochen wird, beim jeglichen so, wie es dessen Empfindungen und Gendanken wollen. Bemerkt der Spezialist eine ständig erneuerte innere Harmonie, die aus der Mathematisierung der malerischen Fläche stammt nimmt er eine Struktur wahr, deren Elemente variieren und auf diese Weise die Ursprungsidee bereichern, so stellt einer, der «unbefangen» sich dem Werk von Karydakis nähert, fest, daß es von den Graffiti herkommt, bzw. unmittelbar verwandt ist mit diesen oberflächlichen, manchmal meisterhaften Spray-Skizzen, aber, auch mit der Malerei der Kinder, denn wie bei diesen beharrt der Künstler darauf, die Malfläche so und nicht anders zu füllen. Während dem «Experten» der gute alte Kandinsky in den Sinn kommt, wird der «unbefangene» Betrachter wohl wahrnehmen, daß Farben und Linien vor ihm tanzen und vibrieren, wie die Lichter der Großstadt und die Neon-Reklamen, die leuchten, solange es Licht gibt.
Nach einer Weile stellen «Experte» und «unbefangener» Seher fest, daß die Grundfunktion, welche Karydakis für seine Formen vorgesehen hat, in der Prägung einer Bedeutung besteht. Einer Bedeutung, die jedoch jeder erst für sich selbst auffinden muß: «… die eigene Geschichte im Übergang zum Unbekannten erzählen», so sagt der Maler selbst. Die beiden Betrachtertypen stellen dann auch fest, daß jede Farbe, jede geometrische oder frei gestaltete Form von innen heraus vibriert. Die Welt von Karydakis, sein «Kosmos», ist eine Ganzheit handelnder Wesen. Sie handeln und bewegen sich auf eine streng festgelegte Art, die sich als scheinbarer Widerspruch inmitten der strengen Regeln eines endlosen Spiels zur Geltung bringt, in dessen Rahmen jedes Bild ein Fragment darstellt.
Und hier zeichnet sich die Überlegenheit des Malers gegenüber der Tätigkeit des «rational vorgehenden» Graphikers – Designers ab: Wenn beide Tätigkeiten als gemeinsamen Bezugspunkt die fast sklavische Gebundenheit an das Handwerk aufweisen – und ein merkwürdiger Zufall will es, daß dies mehr den Maler als den Designer betrifft -, so emanzipiert sich Karydakis von der zweiten Tätigkeit. Dies betreibt er jedoch mit der Akribie und der Beständigkeit – d.h. auch mit der Ehrlichkeit – derjenigen Mittel, über die das Design verfügt. Er zögert auch nicht, es zu einer Verschmelzung der beiden Verfahren künstlerischen Schaffens kommen zu lassen. So gelangt er zu einer Art «patentreifen Erfindung», deren Frucht seine letzten Werke bilden.
Karydakis´ Vorgehensweise besteht aus sechs Phasen, die sich alle notwendig und folgerichtig auseinander ergeben. Dabei tritt, wodurch der Maler Karydakis vom Graphiker inspiriert wurde, um eines der wichtigsten Merkmale der Graphik malerisch festzuhalten, die Vielfalt nämlich, besonders hervor. Die Vielfalt gerät hier zur reibungslosen Wiederholung einer oder vieler Abbildungsideen von geometrischen Formen, wie etwa dem Kreis oder dem Parallelogramm. Karydakis gestaltet diese Vielfalt mit Astralonraster – einem speziellen, transparenten Material, das passend zurechtgeschnitten ist.
Reminiszenzen aus der Lithographie bzw. dem Siebdruck lassen sich auch im nächsten Schritt erkennen, wo der Maler, gestützt auf das Prinzip von wasserlöslicher und Fettfarbe, die überflüssigen Farbreste mit Wasser beseitigt; lediglich in der Gestaltung des Hintergrunds wird der Pinsel herangezogen, und zwar mit Pigmentfarben – den wertvollsten und ältesten Farben der Malerei, mit Gummi arabicum als Bindemittel.
Der tragende Bildergrund ist also mit qualitativ lichtlosen Farben gestaltet, die den Akrylfarben der flüchtigen, jedoch vibrierenden Formen einen Halt geben. Die letzte Phase ist von der Spritzpumpe bestimmt, indem diese nämlich die bereits vorliegenden Farben wegspült und unter der Tiefenschicht jene Formen entdeckt, welche die Astralonraster aufgezeichnet haben. Genau wie der Meißel des Kupferstechers, der, indem er den schwarzem Firnis von der Kupferplatte kratzt, sein Werk ins Metall ritzt!
Die Technik des Flachdrucks hätte sich beinahe vollständig durchgesetzt, wenn nicht die ursprüngliche Arbeit des Malers da wäre, die die Farbe immer in Beziehung zu den Grenzen der gestalteten Form zu handhaben weiß.
So kann man sagen, daß die Malerei von Karydakis als der Sieger aus dem Gefecht mit der Schwesterkunst Graphik hervorgeht. Sie schafft auf die Dauer Bilder ohne Hochmut und Anmaßung, voll von differenzierter Eleganz und Musikalität.
Kosmos ist Mensch
Kosmos ist das All
Kosmos ist das Ganze
Kosmos ist gegenwärtiges Leben
Marilena Cassimatis, Chief Curator at National Gallery, Athens
(Goethe-Institut, Athen, 1990)